«Das Wichtigste ist, an die jungen Menschen zu glauben.»

Markus war über 20 Jahre als Lehrperson tätig und hat viele Jugendliche in ihrer Entwicklung begleitet. Seit Sommer 2017 tut er dies als Leiter der internen Schule von obvita. Mit der Überzeugung, dass vieles zu schaffen ist und noch einiges möglich wäre, wenn mehr Unternehmen auf Inklusion setzen würden.

Markus, was sind deine zentralen Aufgaben?

Jede lernende Person, die bei uns eine Ausbildung macht, hat ergänzende schulische Unterstützung zugute. Diese erfolgt u. a. in Kleingruppen, aber auch sehr individuell pro Person. Je nachdem, wo die Jugendlichen gerade stehen und wo sie Hilfe brauchen. Meine Aufgabe ist es, alle diese schulischen Angebote zu organisieren und zu koordinieren. Dabei bin ich auch Ansprechperson für die Ausbildnerinnen und Ausbildner, um sie im praktischen Betriebsprozess zu entlasten.

Welche Geschichten bringen die Jugendlichen mit, die ihr unterrichtet?

Viele haben die Erfahrung gemacht, dass es nicht funktioniert. Sei es aufgrund psychischer Belastungen, körperlicher Handicaps oder familiärer Situationen. Sie sehen, dass es bei anderen besser läuft. Sie plagen sich mit Ängsten, mangelndem Selbstvertrauen und oft können sie nicht akzeptieren, dass sie Probleme haben. Vielmehr wollen sie stark sein, im Leben bestehen, darum negieren sie ihre Einschränkungen oft. Es gehört zum Prozess, dass sie lernen, damit umzugehen und neue Ziele zu entwickeln. Unsere Beziehungspflege ist dabei sehr wichtig.

Sind eure Jugendlichen weniger motiviert als andere Jugendliche?

Überhaupt nicht. Ich finde ganz generell: Die Motivation der Jugendlichen hat sich nicht verändert, auch wenn man das heute oft zu hören bekommt. Es gab früher schon unmotivierte Menschen. Ich glaube vielmehr, dass die Ansprüche heute höher sind. Wenn man sieht, was die jungen Leute alles können müssen, und in welchen Zeitabständen, dazu noch die Digitalisierung, dann hatten wir älteren Generationen im Vergleich doch ein ganz anderes Tempo. Dazu kommt: Die jungen Leute bekommen eine ungefilterte Welt präsentiert, nicht aber eine Hilfestellung, wie man mit dieser umgeht. Obendrein stehen Jugendliche unter enormem Zeitdruck, auch in der praktischen Ausbildung, weil die Lehrbetriebe Druck haben. Ich denke, hier müssten wir ansetzen und mehr Verständnis in der Gesellschaft und der Wirtschaft erwirken.

Welche Ziele verfolgen die obvita-Lernenden?

Viele unserer Jugendlichen haben dieselben Träume wie andere junge Menschen, z. B. ein cooles Auto zu haben oder ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Ich vermute jedoch, insgeheim haben sie eher Träume wie Frieden mit sich selbst finden, keinen Druck mehr zu verspüren, keine Zerrissenheit ertragen zu müssen oder nicht mehr auf Hilfe angewiesen zu sein. Und dann ist da noch bei vielen der Wunsch, es in den 1. Arbeitsmarkt zu schaffen.

Wie hoch sind diese Chancen?

Teilweise ist es ein utopischer Wunsch, teils durchaus realistisch. Ich würde sagen, etwa die Hälfte von ihnen schafft es in den 1. Arbeitsmarkt. Aber auch hier wieder: Weit mehr würden es schaffen, wenn Lehrbetriebe mehr Menschen mit Beeinträchtigung integrieren würden. Deutschland ist in der Inklusion viel weiter als wir. Dort werden ganze Prozesse in Betrieben angepasst, und es funktioniert beispielhaft.

Was lernst du von den obvita-Jugendlichen?

Ich finde es gewaltig, was diese jungen Menschen schaffen, wenn man bedenkt, mit welchen «Rucksäcken» sie hierherkommen. Und wenn die Leute wüssten, was sie alles mit sich rumschleppen und erlebt haben, würden viele vermutlich weniger hart urteilen. Trotz ihrer Instabilität lerne ich von den Jugendlichen, dass sie uns so begegnen, wie sie wirklich sind. Und das ist ein Geschenk. Wenn ich manche von ihnen später wieder treffe, wird mir klar: Es reicht oft, einfach an sie zu glauben.