Alle Menschen haben Schwächen und Probleme.

Eine Person sitzt nachdenklich auf einem Felsen an einem felsigen Strand. Sie trägt ein schwarzes T-Shirt und Shorts und hat eine Hand am Kinn. Im Hintergrund sind hohe Gräser und ruhiges Wasser unter einem klaren Himmel zu sehen.

Stefan ist eine beeindruckende Erscheinung. 1.90 m gross, stark gebaut und tätowiert. Heute ist Stefan 30 Jahre alt und seit einigen Jahren IV-Bezüger. Momentan arbeitet er auf eigenen Wunsch in der obvita-Montagegruppe bei der V-Zug in Arbon. Davor war er Chauffeur bei obvita. Und in seinen Traumjob als Chauffeur will er bald wieder arbeiten.

Stefan, stimmt es, dass du seit deiner Kindheit immer wieder Opfer warst?

Ja. Ich empfinde es so. Viele Menschen wollten meine Schwächen ausnutzen. Ich bin kein schwacher Mensch mit meiner Grösse und meiner Postur. Aber Grösse und Kraft haben mir nie geholfen. Ich habe schon immer alle meine Ängste, meine Einsamkeit und Schmerzen in mich hineingefressen. Heute lerne ich, mich zu wehren. Im richtigen Moment nein sagen zu können. Das habe ich durch meinen Werdegang gelernt. Lernen müssen.

Es ging so weit, dass meine Freundin Angst hatte vor mir. Wenn meine Psyche sehr angeschlagen ist, kann ich, wenn ich nicht sehr aufpasse, plötzlich sehr aggressiv reagieren. Da habe ich dann kaum noch die Kontrolle über mich. Nicht, dass ich schlagen oder handgreiflich werden würde, aber ich werden dann sehr laut. Das ist, wie wenn man Mentos-Kaubonbons in eine Flasche Cola steckt und der Schaum dann bis an die Decke spritzt.

Stefan, was bedeuten dir deine Tattoos?

Tattoos zu stechen, ist für mich kein Schmerz. Ich hole mir so wichtige Bilder sehr nahe zu mir. Einige der Bilder sollen mich heilen, beschützen und auch gewisse dunkle und aggressive Tendenzen in mir zurückhalten, bannen. Alles sind starke Symbole für mich. Für mich braucht alles Bedeutung. Nur weil etwas schön ist, kommt es mir nicht in die Haut.

Aber ich habe auch viele Narben an meinem Körper. Von Verletzungen und Operationen. Doch die schlimmsten sieht man nicht von aussen.

Ich gehe nicht auf einem breiten und sicheren Weg durch mein Leben. Es ist eher so wie auf einem schmalen Balken zu balancieren. Dauernd fühle ich die Gefahr runterzufallen, wenn die Welt mir zu stark ins Gesicht bläst oder mir jemand auf diesem Balken in die Quere kommt.

Was möchtest du uns noch mit auf unseren Weg geben, Stefan?

Ich bin ein Mensch, der gerne erzählt. Ich brauche Leute, die mir zuhören. Aber nicht reinreden. Und vor allem, wir Menschen mit psychischen Problemen brauchen keine Tipps von euch. So probiere doch mal dies, oder tu mal das… das setzt uns immer stark unter Druck und somit geht es mir schlechter als besser.

Ich versuche, mich trotz meiner Krankheit zu öffnen. Hat man eine sichtbare, äussere Verletzung, gibt es Mitleid. Aber eine Verletzung der Seele sieht man nicht. Obwohl diese Verletzungen am stärksten schmerzen und am schlechtesten verheilen. Da kann ich schlussendlich nur offen darüber reden. Das bringt mir am meisten. Also redet mit anderen Menschen, wenn es euch nicht gut geht. Zieht euch nicht zurück, lasst nicht zu, dass eure Seelen sich verstecken und verkümmern.

Ich weiss heute, dass alle Menschen Schwächen und Probleme haben. Ich vermute, dass deshalb viele Menschen Schwierigkeiten haben, mit uns psychisch Kranken zurechtzukommen. Weil sie Angst vor ihren eigenen Problemen und Schwächen haben. Dann kommen mir diese Menschen mit blöden Tipps kommen: «Tu nicht so, ist doch alles nicht so schlimm». «Das bildest du dir nur ein». «Tu nicht schwach». Das macht mich wütend. Meinen die etwa, ich hätte was davon, zu simulieren oder so zu tun als ob? Sicher nicht. Ich lebe mit meinen Schwächen und Problemen, aber ich will sie doch nicht. Aber ich muss lernen, mit ihnen zu leben.

Es macht mich traurig, wenn man uns nicht ernst nimmt, unsere Zustände nicht ernst nimmt und als Episode abtut. Denn jeder Mensch hat Schwächen und Probleme, aber nicht jeder Mensch erkennt sie.

Stefan. Danke für das Interview.

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